Zuhören

Beim Zeitunglesen in den Klangteppich des Radios hinein- und wieder herausfaden, beim Telefonieren im Internet surfen, beim Essen die Nachrichten hören – in Zeiten von Aufmerksamkeitsökonomie und Multitasking, dauernder Nachrichtenflut und permanentem Angesprochenwerden ist Zuhören eine Tätigkeit geworden, die ständig gefragt ist und dennoch oft in den Hintergrund gerät. Es gilt als passiver als das Sprechen und wird diesem meist nachgeordnet. Ohne Ton, ohne Gesprochenes gibt es ja auch nichts zu hören. Aber ebenso braucht der Klang einen Zuhörer, der ihn aufnimmt und wahr-nimmt, damit er seine Bedeutung entfalten kann.
Die Geräusche der Nachbarn, der Straßenlärm, die Amsel vor dem Fenster, die Lüftung des Computers – ständig bin ich von den verschiedensten Geräuschen umgeben, die ich oft nicht bewusst wahrnehme. Um etwas Bestimmtes aus den Geräuschen, aus dem Rauschen das mich die ganze Zeit umgibt herauszufiltern, muss ich meine Aufmerksamkeit darauf richten, muß mich ihm zuwenden, anderes ausblenden.
Zuhören ist gerichtetes Tun, es ist ein Handeln, gerichtet auf ein Objekt, auf ein Anderes. Ich höre zu und erkenne wieder, erkenne Zeichen im Rauschen, entziffere was ich erkenne, erkenne mich selbst als Zuhörende im Verhältnis zum Gehörten.
Kein Gespräch ohne Zuhören. “Das Ansprechen führt zu einem Gespräch, indem das Schweigen des Zuhörers genauso aktiv wird, wie das Sprechen des Sprechers: Das Zuhören spricht, könnte man sagen.“1

Konversation. Eine oder einer spricht, die anderen hören zu. Antworten hörend, antworten sprechend. Sind der Sprechenden zugewandt, sind der Runde zugewandt, lassen ihr Zuhören sprechen. Aufmerksam. Mit dem ganzen Körper zuhören, Begriffe tasten, Worte schmecken, weitergeben. Rollenwechsel. Jemand anderes spricht, zeichnet, schreibt. Die Rollen sind nicht festgelegt. „Wir antworten nicht auf das, was wir hören, sondern wir antworten, indem wir etwas hören.“2

Wie kann ich meine Aufmerksamkeit auf bisher Ungehörtes, Unerhörtes, Ungekanntes richten? Wie ist ein Hören ausserhalb meines bisherigen Rahmen des Hörbaren möglich?

Konspirieren heisst zusammen atmen, konversieren heisst sich zusammen drehen, um ein Anderes, ein Gemeinsames. Zusammen denken. Versuchen zu hören, was ihr mir ansinnt, auch wenn es aus dem herausfällt, was ich bisher hören konnte. Das Zuhören sprechen lassen, zuhörend antworten. Ist die Aufmerksamkeit auf die Runde gerichtet, kann ein gemeinsamer Rythmus entstehen. Mein Rahmen des Hörbaren, Denkbaren erweitert sich vielleicht ein bisschen, unser gemeinsamer Horizont verändert sich vielleicht ein bisschen in diesem Spiel für alle Sinne.

1 Roland Barthes “Zuhören” in Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. 1990, Suhrkamp, Frankfurt/M.
2 Bernhard Waldenfels Antwortregister, 2007, Suhrkamp, Frankfurt/M.

 

erschienen in “felix aestheticus. Konversationskunst im Zentrum für Kunst und Medientechnologie, ZKM Karlsruhe”, Hg. Kurd Alsleben, Antje Eske, Heiko Idensen. Edition kuecocokue, 2011